SBR-Bericht Plauen, 5.11.2024: Weihnachtsmarkt, der Traum der Sternwarte und Kunst-Ausstellung eines NS-„Opportunisten“

Namensschild mit dem Namen Tigo Stolzenberger darauf auf einem Tisch. Davor grpße Briefumschläge.

Verfasser: Tigo Stolzenberger

Am 5. November 2024 tagte der Stadtbezirksbeirat Dresden-Plauen zum zweiten Mal.

Die Tagesordnung war wieder recht schlank, dafür aber umso intensiver. Zunächst startete die Sitzung mit einer nachträglichen Vereidigung eines AfDlers, der bei der ersten Sitzung entweder krank war, Karenz oder wichtigere Termine hatte und fehlte. Ein junger Typ, der optisch sogar einigermaßen freundlich und bei weitem nicht so verdorben aussah, wie sein Gedankengut wahrscheinlich ist. Auf mich wirkte er recht ruhig, seine Ausstrahlung geht eher gegen null und er war wohl letzte Legislatur bereits im SBR vertreten – ein erfahrener ‚Kamerad‘ also.

Nach dem ganzen formellen Klimm-Bimm hat das Jugendamt über den Kinder- & Jugendnotdienst am Ausweichstandort Burkersdorfer Straße berichtet. Die Einrichtung ist aktuell bei einer Auslastung von 60 % und umfasst insg. 18 Jugendliche. Bisher gab es dort keine größeren Vorkommnisse oder Zwischenfälle, der Zufluss Hilfsbedürftiger sinkt und im April 2025 ist der Umzug zurück zum Hauptstandort geplant. Die Arbeit der Jugendhilfe musste aufgrund von Bauarbeiten & Co. vorübergehend umziehen.

Weiter ging es mit den zu beschließenden Anträgen und Vorlagen. Die Stadtteilbibliothek Südvorstadt braucht eine neue Dokumentenkamera. Costa Quanta: 500 €. Das konnte ohne große Diskussion einstimmig beschlossen werden.

Nächster Tagesordnungspunkt: Förderung „Vorbereitung und Durchführung eines weihnachtlichen Marktes zum 1. Advent – Plauener Lichterglanz“, veranstaltet von der Evangelischen Auferstehungskirche Dresden-Plauen. Hier war die FDP ganz eifrig im Fragen stellen, hat sich eine Kostenaufschlüsselung und mehr Transparenz über die anstehenden Kosten und Gewinne gewünscht. Problem nur: Der gute Sven kann nicht lesen. Die Kostenaufschlüsselung war auf den Posten genau Teil der Antragsdokumente und Gewinn macht der Verein nicht wirklich. Die 100 Ehrenamtlichen, die dieses Fest organisieren und durchführen, muss man hier ja auch mit einrechnen. Sonst wurde noch ein bisschen um den heißen Glühwein herum diskutiert, es gibt wohl keine schicken Tassen mehr (da diese letztes Jahr 3 € Pfand, in der Produktion aber 7 € kosteten und der Verein somit ziemlich Minus macht) und der Antrag wurde einstimmig angenommen.

Theoretisch wäre jetzt laut Tagesordnung der Förderantrag zur Ausstellung zu Fritz Beckert dran, doch da die Kunstelite, die diesen Antrag vorstellen soll, noch nicht eingetroffen ist, wird das nach hinten geschoben.

Stattdessen beschäftigen wir uns nun mit einer Vorlage aus dem Stadtrat: „Herstellung eines Fachunterrichtsraumes Mechatronik am Standort Berufliches Schulzentrum für Elektrotechnik Dresden (BSZ ET), Strehlener Platz“. Die alte Metallwerkstatt soll dort saniert und zum Fachunterrichtsraum für Mechatronik werden, insb. auch durch die Ansiedlung der Halbleiterindustrie im Dresdner Norden und den erhöhten Fachkräftebedarf. Die Fassade muss erneuert werden, die Baulichkeiten müssen wieder aktuellen Standards entsprechen, bla bla. Die gesamten Baukosten belaufen sich auf 1,275 Millionen €, 400.000 € davon sind reiner Bauaufwand, 176.000 € technische Anlagen und 465.000 € für spezielle Ausstattung. Nachdem ein paar Wichtigtuer so getan haben, als würden sie sich dafür interessieren – oder sich tatsächlich dafür interessieren? – und ein paar detaillierte Nachfragen stellten, hat der SBR die Vorlage einstimmig beschlossen.

Anknüpfend dazu und eigentlich noch uninteressanter: Brandschutz. Ebenfalls eine Vorlage aus dem Stadtrat – der Brandschutz am BSZ soll „ertüchtigt“ werden. Gleiches Spiel: Detaillierte Antragsvorstellung durch die Landeshauptstadt Dresden, uninteressante Fragen, Abstimmung, einstimmig durchgewunken, fertig.

Der elitäre Kunstbumms e.V. ist immernoch nicht da, also machen wir weiter mit einem – wie ich finde – sehr schönen Antrag weiter: Instandsetzung der Sternwarte des Gymnasiums Plauen, Kostenpunkt 120.000 € (vom SBR getragen). Zu Gast waren hier der Schulleiter des Gymnasiums Plauen, der zuständige Chef im Amt für Schulen und ein Physik-Lehrer des Gymnasiums, die gemeinsam den Antrag schmackhaft machten. Und diese Vorstellung war der Hammer. Der Physik-Lehrer erzählte mit einer Ausstrahlung und funkelnden Augen über seine Begeisterung für die Astronomie, brachte eine wunderschöne Präsentation mit und zeigte uns anhand von KI-generierten Bildern, wie er sich die Zukunft der Sternwarte vorstellt: Als Lernraum, als Treffpunkt, als Wohlfühlort, im Einklang mit der umliegenden Natur. So eine Lehrkraft kann man wirklich nur jedem Kind wünschen!

Nach dieser tollen Vorstellung hat die FDP natürlich auch ganz viele tolle Anmerkungen: „Ist natürlich ne ganz schöne Summe, ich denke, für das Geld kriegt man auch ganz andere Sachen. Ich hab z.B. mit der Grundschule xy telefoniert, den fehlen 3000 € für ein Trampolin.“ Dann sollen sie doch einen Antrag stellen? „Ich muss ehrlich gestehen, für mich ist das Projekt eine ‚Liebhaberei‘ und ich sehe noch nicht, dass der SBR das fördert. Eine schöne Geste wäre es auch gewesen, wenn eine Fördervereinsgründung heute schon Thema gewesen wäre.“ Der Antragsteller entgegnet, dass eine Fördervereinsgründung erfolgen soll und das es eben kein „Liebhaber“-Projekt ist, sondern eine wirklich tolle Möglichkeit für den Schulunterricht, das Zusammenleben und so weiter. Frau Dr. Zies (AfD) hat im Anschluss eine gar zu philosophische und viel zu wirre Rede darüber gehalten, wie toll die Astronomie doch ist und das sie dieses Projekt von Herzen ganz dolle unterstützt. Beim sprechen unterstützt auch ihr Ehemann, indem er ihren Kopf näher an das Mikrofon drückt (und dort auch hält) und während des Redebeitrags Worte dazwischen flüstert.

Die CDU bringt einen gar nicht mal so dummen Änderungsantrag ein: „Bei der Umsetzung, insbesondere Planung und Ausschreibung, sind bautechnisch zu berücksichtigende Erweiterungsoptionen zu prüfen.“ 18 Stimmen dafür, eine Enthaltung von Frau Dr. Zies (weird?), übernommen. Der zweite Änderungsantrag kommt von den Grünen: „Der Stadtbezirksbeirat Plauen befürwortet eine Öffnung der Sternwarte für Hobby- und Amateurastronomen. Der Oberbürgermeister wird aufgefordert, dem Stadtbezirksbeirat Plauen spätestens in 12 Monaten darüber zu informieren, in welchem Umfang die Sternwarte für interessierte externe Astronomen geöffnet wird.“ Ich bin kein Hobby-Astronom, kann mir egal sein, also bin ich dafür. Alle anderen auch, Änderungsantrag übernommen. Wir kommen zur Abstimmung der nun erweiterten Vorlage: Einstimmig. Super Sache.

Inzwischen sind nun auch die Vertreter (gendern überflüssig) von der Fritz-Beckert-Ausstellung eingetroffen und wir dürfen uns endlich mit dieser spaßigen Angelegenheit beschäftigen. Veranstaltet wird die Ausstellung vom „Forum Mitteldeutsche Kunst e.V.“, ein Verein, der sich laut eigener Aussage bemüht, in Vergessenheit geratene Künstler, insb. ostdeutsche, wieder ans Licht zu bringen. So auch mit dem Dresdner Künstler Fritz Beckert, dem eine Ausstellung mit dem Titel „Fritz Beckert – 1877 – 1961 – Architekturmaler + Impressionist – Veduten und Interieurs“ gewidmet wird. Da ich mir irgendetwas in diese Richtung schon denken konnte, habe ich mich im Vorfeld mal darüber informiert, wer Fritz Beckert eigentlich war und was er so gemacht hat. Und ich sollte Recht behalten: Fritz Beckert war ein Künstler aus Dresden, der bereits 1932 für den Nationalsozialismus eintrat, das „Bekenntnis der Professoren an den deutschen Universitäten und Hochschulen zu Adolf Hitler und dem nationalsozialistischen Staat“ unterschrieben hat, seine Werke auf vielen Kunstausstellungen während dem NS ausstellte und diese an Nazi-Größen wir Bormann, Greiser oder die Oberste SA-Führung verkaufte. Ich habe den Verein im Rahmen meiner Vorbereitung kontaktiert und gefragt, inwiefern sich die Ausstellung kritisch mit Beckerts Rolle als Nationalsozialist auseinandersetzt. Auf diese Nachfrage hab ich nie eine Antwort bekommen (angeblich aus technischen Gründen), jedoch hat sich Dr. Hildegard Küllchen von der SPD die Ausstellung mal angeschaut und uns einen Einblick gegeben:

Ausgestellter Lebenslauf von Fritz Beckert, Lücke ab 1921 bis 1945

In ihrer Vorstellung der Ausstellung und des Künstlers haben die Antragsteller zunächst kein einziges Wort zur nationalsozialistischen Vergangenheit erwähnt. Nach ausführlichem Bla Bla haben sie Bezug auf meine Mail genommen und darauf wie folgt geantwortet:

„Beckert war kein Nazi. Seine Kunst war unpolitisch und frei von irgendwelchen Bedeutungen. Er kann auch kein Antisemit gewesen sein, da er mit einem jüdischen Professor befreundet war. Der Wikipedia-Artikel ist auch erst seit wenigen Jahren online, wir wissen ja gar nicht, was er zu 100 % wirklich gemacht hat, nur, dass er keine nationalsozialistisch verherrlichenden Bilder gezeichnet hat. Wir hätten ihn nie ausgestellt, wenn er ein wirklicher Nazi gewesen wäre. Er war aber einfach nur ein Opportunist.“

Puh. Nach der Einleitung kann das ja was werden. Wir gehen in die Fragerunde. Auf meine Frage, warum das nicht gespiegelt bzw. thematisiert wird, bekomme ich folgende Antwort:

„Der Lebenslauf wird ausgestellt und die Information steht ja erst seit kurzem im Wikipedia. Das ist alles so ‚diffus‘ und unklar, dass wir das nicht in der Ausstellung thematisieren. Es sollen ja auch Schulklassen kommen und die würden das nicht verstehen, wenn man sagt, dass er Nationalsozialist war. Hier geht es rein um seine künstlerische Arbeit. Er wurde danach in der DDR gefeiert, deswegen kann seine Vergangenheit auch gar nicht so schlimm gewesen sein. Dass er in der NSDAP war, wissen wir, dass er den Hitler-Brief unterschrieben hat, wissen wir auch. Das haben alle gemacht, das hat keine Wertung und wird im Nachhinein alles immer nur instrumentalisiert. Nach 45 hat sich Beckert sofort wieder in die Gesellschaft eingebracht und diese mitgestaltet. Einen belasteten Nationalsozialisten hätten wir niemals ausgestellt, der NSDAP-Eintritt rein opportunistisch.“

Sven Gärtner (FDP) meldet sich und ich bin sehr gespannt, was jetzt kommt. Sonst drehen sich seine großkotzigen Beiträge meist um „zu teuer, zu sinnlos, ich weiß alles besser, Sie sollten das so und so machen“, das würde aber gerade nicht so ganz in die Diskussion passen. Umso überraschter war ich davon, dass er mir Recht gegeben hat: „Geschichte muss man einordnen und kann man nicht einfach so auslöschen.“ Er appelliert an die Veranstalter, ob eine kritische Einordnung nicht doch angebracht wäre.

Auch die CDU ist für Überraschungen offen. Herr Hönig beginnt seinen Redebeitrag damit, dass ihm bis jetzt eben die NS-Vergangenheit nicht bekannt war und das „tatsächlich etwas schwierig jetzt ist.“ Er kriegt aber wieder schnell die Kurve dahin, dass die Ausstellung dennoch kein Problem sein sollte, weil der Künstler für Dresden bedeutsam war und es in aller erster Linie um die Kunst geht.

Auf die Frage von der SPD, was die Aussteller daran hindert, einfach die Biographie um den entsprechenden Absatz zu ergänzen, erbarmten sich die Antragsteller: „Wenn das wirklich so ein großes Thema für sie ist, dann können wir den Nebensatz einfügen, dass er NSDAP-Mitglied war, das jedoch keinen Einfluss auf seine Kunst hatte.“

Nun möchte Herr Hille von den Freien Bürgern etwas sagen und das ist meistens wie die Büchse der Pandorra. Man weiß nie genau, was jetzt kommt, in der Regel ists aber nicht so dufte. Er erklärt, dass er vor 5 Jahren Fritz Beckert nicht mal kannte und jetzt mit seiner Frau die Ausstellung besucht hat. Ein NSDAP-Nebensatz habe ihm überhaupt nicht gefehlt. „Mir ist doch völlig egal, was ein Künstler davor oder danach gedacht hat. Es geht um die Kunst. Sonst sind wir hier in einer Political Correctness drin, aus der wir nicht mehr rauskommen.“ All right grandpa, let’s get you back to bed. Mein erster Gedanke: Hitler war auch „Künstler“. Ist ihm da auch egal, was er abseits von seiner Kunst so gedacht und gemacht hat?!

Wir unterbrechen die Sitzung für eine Beratungspause, Rot-Rot-Grün-Orange finden sich in einem Grüppchen zusammen. Selbst die CDU schleicht sich rüber und fragt, ob sie sich mit einbringen dürfen, oder ob das eine exklusive Gruppe ist. Wow. Die Grünen stellen dann einen Änderungsantrag: „Die Förderung wird mit der Maßgabe gewährt, dass die Antragsteller zeitnah auf die Bezüge des Fritz Beckert zum Nationalsozialismus hinweisen.“ Der Antragsteller weigert sich nochmal kurz: „Wenn ich da hinschreibe, ‚Der war ein Nazi.‘, das verstehen die Kinder nicht.“ Guter Ansatz. Alles, was man nicht versteht oder was etwas komplexer in der Erklärung ist, lässt man einfach weg. Sinnbildlich für 30 Jahre verkackte politische Bildung. Wie wäre es damit, den Kindern die geschichtliche Relevanz nahezulegen und ihnen in der Schule zu erklären, was ein Nazi ist und warum Nazis für’n Arsch sind? Vielleicht gäbe es dann auch weniger pubertär-rechte Pissnelken, die die AfD so abfeiern. Wir stimmen über den Änderungsantrag ab und sich das Ergebnis währenddessen zu notieren, war gar nicht mal so einfach:

R2GO ist geschlossen dafür, der Zastrow-Typ aus dem Baumarkt hebt auch recht schnell sein Ärmchen hoch (ich war echt überrascht), der noch zögernde FDPler folgt ihm daraufhin und ganze 3 von 4 CDUler stimmen zu. Der andere enthält sich, ebenfalls der nicht so an grundsätzlichen Einstellungen mit faschistischen Tendenzen von Künstlern interessierte Freie Bürger und 2 AfDler. Die anderen beiden Alternativen stimmen dagegen. Der Änderungsantrag wird also übernommen.

Wir kommen nun zur Abstimmung des Gesamtantrags. Ich bin immer noch dagegen, Steuergelder für diese elitäre, ignorante und geschichtsrevisionistische Kackscheisze zu verbrennen, trotz des übernommenen Änderungsantrags. Die Argumentation der Antragsteller hat klar gezeigt, dass man von dieser Umsetzung nicht viel erwarten kann. Mit meinem Kontra sollte ich allerdings alleine bleiben. Mit 18 Stimmen dafür und meiner Stimme dagegen wurde die Vorlage somit beschlossen. Nach ein paar irrelevanten sonstigen Punkten endete die Sitzung.

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