Piraten Stadtrat Martin Schulte-Wissermann über das 50 Millionen Euro Geschenk an die Chipindustrie
Mit dem neuen TSMC-Chipwerk neben dem Flughafen soll die Entwicklung der Halbleiterwelt in Dresden erst richtig losgehen. Wie man munkelt, planen auch Bosch, Infineon und GlobalFoundries deutliche Erweiterungen ihrer Produktionskapazitäten. Diese Entwicklung ist natürlich getrieben von dem Corona-Lieferketten-Schock, gepaart mit der Befürchtung, ein Angriff Chinas auf das unabhängige Taiwan würde noch weit größere Disruptionen in der Chip-Beschaffung auslösen – und da ist es natürlich sinnvoll und praktisch, wenn Teile der Chip-Produktion direkt in Europa stattfinden.
Nun kommen die Chiphersteller nicht, weil Dresden so schön ist. Sie kommen, weil hier die Bedingungen gut sind. Und die Bedingungen sind gut, da die Bundes- und Landesregierung Milliardensubventionen ausloben und die Planungsprozesse in diesem doch oft so planungsmüdem Land auf aberwitzige Geschwindigkeit beschleunigen – man könnte auch sagen, alle möglichen Hürden werden aus dem Weg geblasen, ehe irgendwelche Hürden überhaupt aufgestellt werden könnten.
Alle Hürden? … Nein. Bei alledem hat man den Stadtrat vergessen. Die Chip-Fabriken brauchen nämlich viel Wasser – so viel Wasser, dass die SachsenEnergie ca. 360 Mio. Euro investieren muss, damit genug Wasser nach Klotzsche gepumpt werden kann. Blöd ist nun, dass die bereits ausverhandelten Wassergebühren nicht hoch genug sind, dass sich dieses Investment wirtschaftlich trägt.
Und damit die Chiphersteller nicht abspringen und gleichzeitig die Rechnung für die SachsenEnergie doch noch aufgeht, braucht die SachsenEnergie 150 Mio. Euro Zuschuss. Nicht geborgt, sie braucht die Kohle geschenkt. Der Freistaat verspricht 100 Mio. Euro, wenn (und nur dann!) der Stadtrat auch 50 Mio. Euro beisteuert. So hat es sich das Land ausgedacht, ohne vorher den Stadtrat zu fragen. Diese Schenkung steht jetzt auf der Tagesordnung des Stadtrats.
Der Stadtrat muss nun zustimmen, denn wenn der Stadtrat die 50 Mio. Euro nicht freigibt, gibt das Land sein Geld auch nicht frei und dann kommen alle diese Industrien nicht. Und dann ist Heulen und Zähneklappern: „Wir verlieren Arbeitsplätze, Dresdens Wirtschaft kollabiert, Sturm kommt auf, das Licht geht aus, Deindustrialisierung, das Ende von Dresden ist nah!“ Oder kurz: Man kann so ein Vorgehen auch ‘Erpressung’ nennen.
Ich finde, so geht das nicht! Bei jedem anderen Investitionsvorhaben wird der Stadtrat von Anfang an einbezogen, denn die Stadt hat die ‘Kommunale Planungshoheit’. Die Stadt bestimmt, was gebaut wird. Die Konditionen dafür werden dann zwischen Investor und Stadtrat verhandelt – und zwar bevor gebaut wird. Jeder Investor will irgendwas von der Stadt und die Stadt von ihm – und wenn alles gut geht, findet man gegenseitiges Einvernehmen zum Nutzen aller.
Auch die Chipindustrie will was von der Stadt. Sie braucht z.B. Wohnungen für die Angestellten, Busse zum Werkstor, Kitas- und Schulen für die Kinder, Kunst, Kultur und eine schöne Stadt … soll sich Dresden nun alleine um all die Kollateral-Entwicklungen kümmern (und bezahlen) und dazu auch noch 50 Mio € für billigeres Wasser schenken? Die Antwort darauf ist nicht einfach. Es geht hier immerhin um einen wichtigen Baustein der (wirtschaftlichen) Entwicklung von Dresden und der Region. Es kann sein, dass Dresden ein Vielfaches der 50 Mio. Euro in den kommenden Jahren über Steuern zurückbekommt. Kann sein, dass Dresden mit diesen 50 Mio. Euro wirklich zum Zentrum der Chip-Industrie in Europa wird. Kann sein, dass man in 20 Jahren sehr, sehr froh sein wird, dass wir mit verbilligtem Wasser Dresdens Wirtschaft entscheidend voran gebracht haben …
… kann aber auch sein, dass das erhoffte Wachstum der Chip-Industrie nicht kommt und sie sich in ein paar Jahren verabschiedet. Kann sein, dass wir sinnlos unendlich viel Wasser nach Klotzsche pumpen können. Kann sein, dass sich Dresden an all dem Wasser gehörig verschluckt. Und bei all dem wird der Stadtrat bislang weitestgehend im Dunkeln gelassen.
Um wenigsten etwas Licht in dieses Dunkel zu bekommen, habe ich daher erfolgreich beantragt, dass bis auf Weiteres im Wirtschaftsausschuss regelmäßig nicht nur über den aktuellen Stand der Ansiedlungen berichtet wird, sondern auch, dass über dieses Gremium der Stadtrat ‘aktiv in die weiteren Entwicklungen mit einbezogen’ wird. Wir werden sehen, wie weit dieses zarte Pflänzchen der Partizipation sich entwickelt. Ich hoffe, dies trägt mit dazu bei, dass der Stadtrat als Ganzes bald aufwacht und seine ureigene Verantwortung der ‘kommunalen Planungshoheit’ wieder selbst in die Hand nimmt. Ich will liebend gerne bald mit TSMC Manager:innen über Standorte für Werkswohnungen und deren Finanzbeitrag zur Verlängerung der Linie 8 verhandeln.