Die Piratenpartei Dresden reichte bis 4. August für 6 Dresdner:innen eine Anfechtung der Oberbürgermeisterwahlen ein. Der Grund: Diesen Wähler:innen waren die Briefwahlunterlagen für den zweiten Wahlgang erst so spät oder gar nicht zugegangen, dass sie ihr Stimmrecht nicht mehr nutzen konnten. Gleiches galt für noch mehr Dresdner:innen; allein bei den Piraten meldeten sich über 50 Personen, die Dunkelziffer liegt vermutlich deutlich darüber. (Für den zweiten Wahlgang wurden 108.454 Wahlscheine versandt, per Briefwahl gewählt haben aber nur 87.867. Während im ersten Wahlgang 9.448 Bürger:innen ihren Briefwahlschein nicht nutzten, waren es im zweiten Wahlgang 20.587, also mehr als doppelt so viele.)
Bereits am 20. Juli stellte Piraten-Stadtrat Dr. Martin Schulte-Wissermann (Dissidenten-Fraktion) eine offizielle Anfrage an den Oberbürgermeister. Konkret sollte der OB darüber aufklären, wie es zu den verspäteten Zusendungen kommen konnte, und insbesondere, welche Schlussfolgerungen die Stadt für zukünftige Wahlen zieht. Die unbefriedigende Antwort erhielt Schulte-Wissermann am 15. August.
Für Hilbert „[gelten] Wahlunterlagen, die bis einschließlich Samstag vor der Wahl […] zugestellt werden, […] als rechtzeitig zugestellt.“ Dass sich bei den Piraten eine Person meldete, deren Unterlagen erst nach der Wahl ankamen, sei der Stadt bekannt, diese tut das jedoch als „Einzelfall“ ab. Insgesamt sieht die Verwaltung keine Schuld bei sich, und vermutet die Verantwortung für späte Zustellungen bei den Bürgerinnen und Bürgern („fehlende Angabe der neuen Anschrift oder die unzureichende Beschriftung des Briefkastens“). Lediglich an einer Stelle im Text räumt Hilbert ein, dass der Bearbeitungsstau im Melderegister ein Faktor gewesen sein könnte. Dieses Eingeständnis wird allerdings sofort mit der Belastung durch Coronakrise und Ukrainekrieg relativiert.
Schulte-Wissermann hierzu: „Ich bin auf gleich zwei Ebenen von Dirk Hilbert enttäuscht. Zum einen flieht er vor der politischen Verantwortung, indem er das Problem gar nicht erst anerkennt, die Schuld bei den Wähler:innen sucht und keine Lösung für zukünftige Wahlen vorschlägt. Zum anderen lässt er jegliche Menschlichkeit vermissen; nicht ein einziges Wort des Bedauerns für die Unannehmlichkeiten der Betroffenen kommt dem OB über die Lippen.“
Jens Hänsch, Generalsekretär der PIRATEN Dresden, vertritt die 6 Anfechtungen als Rechtsanwalt. Auch ihn überzeugt die Antwort des OB nicht: „Die Stadtverwaltung weist jede Verantwortung für das Briefwahldebakel von sich. Zum Teil weist sie die Schuld den Wähler:innen selbst zu, zum Teil verweist sie auf den Gesetzgeber. Die von uns bei der Wahlanfechtung unterstützten Wähler:innen sind aber weder umgezogen noch haben sie ihre Briefkästen falsch beschriftet, schließlich sind die Unterlagen zum ersten Wahlgang ordnungsgemäß angekommen. Schlussfolgerungen für künftige Wahlen will die Stadt nicht ziehen. Eine solche Haltung zu einem der grundlegensten demokratischen Rechte wollen wir nicht hinnehmen und werden daher die Wahlanfechtungen intensiv weiter unterstützen und begleiten.“
„Die Stadtverwaltung ist wohl der Ansicht, Briefwahl solle ausschließlich eine Abwesenheit am Wahltag absichern, ein Last-Minute-Briefkasten am Rathaus sei für alle bequem erreichbar und Reisende hätten ja von Anfang an ihr Reiseziel als Zustelladresse angeben können. Das ist schlichtweg realitätsfern“, stellt Anne Herpertz, Vorsitzende der Neustadtpiraten, kopfschüttelnd fest. „Uns haben einige Menschen geschrieben, die letztlich trotz frühzeitig beantragter Briefwahl am Sonntag ins Wahllokal mussten.“ Die Neustadt war besonders von den Zustellungsproblemen betroffen.