Die Wohngeld-Anfrage – Datensammelwut und soziale Herabwürdigung „weil wir es können“

Auf dem Bild sieht man einen lila eingefärbten Wohngeldantrag der Stadt Dresden.

Vor einiger Zeit stellte unser Piraten-Stadtrat Martin Schulte-Wissermann eine Anfrage an den Oberbürgermeister, welche die Wohngeldbeantragung in Dresden zum Gegenstand hatte. Dabei ging es insbesondere um Menschen, die in Wohngemeinschaften leben und für 100-300€ auf Teufel-komm-raus belegen müssen, dass sie mit ihren Mitbewohnenden keine „Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft“ bilden. Die Hintergründe und die Motivation für diese Anfrage erkläre ich in diesem Video.

Die Antwort auf die Anfrage hat mich dann allerdings unbefriedigt und angeekelt zurückgelassen. Zusammenfassen lässt sich die Antwort der Stadt fast in einem Satz: Wir fragen wahnsinnig viele persönliche Dinge, weil wir das dürfen und weil wir grundsätzlich immer davon ausgehen, dass falsche Angaben getätigt werden. Allein diese Gedankenhaltung der Verwaltung ist schon eine Frechheit – analysiert man die Antworten jedoch mehr und mehr im Detail, werden die Ausführungen zunehmend zynischer.

Auf die Frage, warum man so viele Details über die Mitbewohnenden preisgeben muss – die nebenbei keinen Cent vom Staat beantragen – antwortete die Stadt tatsächlich: Damit Hausbesuche möglichst vermieden werden können und somit „der Eingriff in die Privatsphäre der antragsstellenden Person vermieden werden“ kann.

Was für ein absurdes Argument, nachdem man auflisten musste, wer welche Gebrauchsgegenstände in der Wohnung angeschafft hat (Waschmaschine, Telefon, Staubsauger), wer welche Räume nutzt, was in den Räumen der Mitbewohnenden für Möbel stehen usw. Das stellt keinen Privatsphäre-Eingriff dar? Sich und seine Mitbewohnenden per Antrag nackt zu machen ist also das kleinere Übel, Hausbesuche wären schließlich noch entwürdigender? Was für ein schlechtes Framing.

Weiter wird ausgeführt, die „volle Beweislast für das Nichtbestehen einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft liegt von Gesetz wegen bei den Personen, welche die Wohnung gemeinsam bewohnen. Die bloße Behauptung im Antrag ist nicht ausreichend.“ Warum sagt man nicht gleich: Eigentlich vertraut euch hier niemand, es geht zwar nur um maximal 100-300€, aber lieber stecken wir das Geld in die Bearbeitung und Überprüfung der Zustände, statt es Menschen in schweren Lebenssituationen auszuzahlen. Noch unfassbarer ist jedoch der Verweis auf die „Gleichbehandlung aller Antragssteller im Sinne des Grundgesetzes […] auch im Hinblick auf die soziale Gerechtigkeit“. An dieser Stelle hatte ich damals das Blatt in die Ecke geworfen. Und diesen Blog auf später verschoben. In Deutschland arm zu sein heißt sich nackig zu machen. Jeden Cent und jede Information über einen selbst anzuzeigen, jedes noch so kleine Detail über die Lebenssituation preiszugeben.

Wohngeld ist explizit vom Bund nicht als ‚Almosen des Staates‘ gedacht. Für die Höhe des Wohngeld-Satzes sind lediglich 3 Informationen ausschlaggebend: die Anzahl der Haushaltsmitglieder, das persönliche Einkommen und die Miethöhe. Klar, Gleichbehandlung aller Antraggstellenden, aber Gleichbehandlung auf herabwürdigenden Niveau ist also gut? Über die von Gleichheit von finanziell Benachteiligten und nicht finanziell Benachteiligten mal ganz zu schweigen.

Die Antwort auf „Warum denn überhaupt Daten über die vollkommen unbeteiligte Mitbewohnende erhoben werden und warum man diese übergriffigen Fragen überhaupt beantworten muss“, wurde mit lustigen Vermutungen im Konjunktiv geschmückt. Information X könnte vielleicht über die Lebenssituation Y unter den Umständen Z eventuell etwas aussagen.

So wird zum Beispiel angenommen, dass Haushaltsgegenstände in Partnerschaften immer gemeinsam angeschafft werden und in Wohngemeinschaften immer getrennt. Für Wohngemeinschaften gilt, dass diese aus finanziellen Gründen geschlossen werden – was direkt widersprüchlich ist, da diese finanziellen Gründe durchaus auch bedeuten können, dass Gegenstände in der Wohnung gemeinsam angeschafft werden. „Nein nein, wir besitzen beide eine eigene Waschmaschine und jeder hat seinen persönlichen eigenen Staubsauger, weil wir schließlich aus finanziellen Gründen zusammenwohnen“. Wie viel Spekulation vertragen Sachbearbeiter:innen im Sozialamt?

Die Namen der Mitbewohnenden werden abgefragt, weil sie ein „Indiz für das (Nicht-)Vorliegen von verwandschaftlichen Beziehungen sein könnten“. Stimmt, im Hauptantrag hat man ja einfach aus Prinzip – und weil man als Antragssteller*in grundsätzlich lügt – behauptet, die Mitbewohnenden gehören nicht zum Haushalt (Familienmitglieder würden jedoch dazugehören!). Diese pauschale Logik macht hilflos – warum wird keiner Angabe im Hauptantrag geglaubt?

Was wir noch in Erfahrung bringen konnten: Ist das Sozialamt trotz tausender Informationen nicht davon überzeugt, dass die antragsstellende Person schon genügend gedemütigt worden ist, dann sind Mitarbeitende nach berechtigt, in das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung einzugreifen und Hausbesuche zu tätigen.

Wir haben auch nach dem Umgang mit den erfassten Informationen gefragt. Hier versichert die Stadt uns: „Die erhobenen Daten werden nicht an andere Stellen weitergeleitet.“ Die Akten werden zwischen zwei und zehn Jahren aufbewahrt. Die Regeln des Sozialdatenschutzes nach §35 SGB I und §67ff. SGB X werden befolgt, somit sei der Vorgang DSGVO-konform. Was ja auch das Mindeste ist.

Mich macht die Antwort, wie auch die Praxis, fassungslos und wütend. Auch, oder vorallem weil die Antworten erwartbar waren. Denn wir leben doch in einer Gesellschaft, die strukturell finanzielle Ungleichheit begünstigt. Wer wenig Geld hat, muss sich also zusätzlich vom Staat demütigen lassen. Und wer zufällig mit einer Person in schwierigen finanziellen Verhältnissen zusammenwohnt, dessen persönliche Daten liegen dann auch zehn Jahre beim Sozialamt. Ich würde gern zumindest einmal erleben, dass so viel Energie in die Bekämpfung von sozialer Ungleichheit gesteckt würde, wie in das Misstrauen gegenüber finanziell Benachteiligten. Mit einem bedingungslosen Grundeinkommen wäre die Bekämpfung sozialer Ungleichheit ohne Entwürdigung möglich.

Ein Beitrag von Anne Herpertz

Anne Herpertz

1 Kommentar zu „Die Wohngeld-Anfrage – Datensammelwut und soziale Herabwürdigung „weil wir es können““

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